Zentraltibet

 

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Bereits bevor wir Lhatse erreichten konnten wir uns kaum satt sehen: zuerst entdeckten wir einzelne Bäume in Gärten und danach Baumalleen, in den vielfältigsten Herbstfarben. Wie vermissten wir diese Vegetation! Da sich dieses Hochplateau "nur" auf einer Höhe von 4000m befindet, kann das fruchtbare Land mit Gersten-Terrassen bewirtschaftet werden. Die Leute erschienen uns in dieser Gegend besonders zufrieden. Vermutlich deshalb, weil sie engagiert sind mit der Ernte und sie eine Aufgabe haben. Nun wussten wir auch, woher unser Power-Frühstück kommt. Morgens kochten wir uns jeweils Tsampa (Gerstenmehl) mit Sojamilch-Pulver mit Vitaminen, welchem wir Rosinen und Zucker hinzufügten. Müesli findet man nur in den grossen Städten und unser Vorrat reichte bei weitem nicht für 20 Tage. Das Essen im Tibet ist abwechslungsreicher, als wir es uns vorgestellt haben. Hatten wir mal keine Lust auf tibetisches Essen wie Reis, Kartoffeln und Yakfleisch oder Momos (gedämpfte Teigtaschen, m eistens gefüllt mit Fleisch und Zwiebeln) serviert mit Yakbutter-Tee, befand sich in der Regel in jedem Dorf ein chinesisches Restaurant, in welchen die Küche vielfältiger ist.

In Shigatse besuchten wir das Kloster der Panchen (grosse Schüler) Lamas. Tashilunpo wurde 1447 gegründet und ist eines der wenigen Kloster, welches während der Kultur-Revolution nicht zerstört wurde. Ein riesiger Komplex mit vielen weissen Gebäuden, wo die Mönche wohnen und zur Schule gehen. Am Hang sind einige ockerfarbene Tempel zu erkennen, in welchen sich u.a. Gräber vergangener Panchen Lamas und die weltgrösste (Höhe 26m) vergoldete Statue, des Jampa, des zukünftigen Buddhas, befinden. Absolut imposant, diese Tempel-Anlage! Wir versuchten bereits in Shigatse unser Visa zu verlängern. Den ganzen Morgen suchten wir das Polizeibüro. Die Beamten verwiesen uns jeweils an eine andere Polizeistation. Nach drei Stunden brachte uns ein Taxi wieder zum ersten Polizeibüro. Die Polizistin entschuldigte sich halbwegs und zeigte dann in die andere Richtung, wo sich 200m entfernt tatsächlich das zuständige Büro befand. Der Mann hinter der Glasscheibe meinte nur: "NO", und wir: "YES!".

Dies berührte ihn jedoch keineswegs und er meinte, wir müssten in Lhasa versuchen eine Visaverlängerung zu bekommen. Nun gab es nur eines: nach Lhasa strampeln bis am 25. Oktober nachmittags und dort unser Glück zu versuchen. Die asphaltierte Srasse nach Lhasa führte dem Brahmaputra-Strom entlang. Da wir keinen hohen Pass mehr zu meistern hatten, schafften wir die 260km locker in 2 1/2 Tagen. Das war schon ein ganz spezieller Moment, als wir Lhasa, unser grosses Ziel, erreichten. Zuerst begaben wir uns zum Potala-Palast, welch er auf einem Hügel gebaut ist und das Stadtbild dominiert. Wir waren total beeindruckt von diesem unglaublich imposanten Bauwerk, ein Wunder östlicher Architektur. Wir konnten es kaum fassen, dass wir nun tatsächlich hier mit dem Velo angekommen sind! Als Beweis, dass wir nicht träumten, hielten wir dies bildlich fest, bevor uns die Aufseher aufforderten, den Platz mit dem Fahrrad zu verlassen.

Danach mussten wir uns um die Visaverlängerung kümmern. Der Beamte erklärte uns, dass wir in sieben Tagen Tibet verlassen müssen. Unsere Überredungskunst und Argumentationen nützten nichts. Wir wären ja bestimmt nicht sieben Jahre in Tibet geblieben, aber ein Monat hätte gereicht, um die Sehenswürdigkeiten in dieser Gegend zu erkunden und mit dem Fahrrad Osttibet zu durchqueren. Ziemlich frustriert verliessen wir den Posten. Organisation der Weiterreise war nun angesagt. Öffentliche Buse nach Kunming gibt es für ausländische Touristen keine und der neue Zug nach Peking fährt in den Norden nach Goldmund, was nicht unserer vorgesehenen Route entspricht. Also beschlossen wir, die ca. 2000km lange Strecke zu fliegen, somit hatten wir noch ein paar Tage, um die einerseits moderne und andererseits immer noch sehr traditionelle Lhasa kennen zu lernen. Zuerst besuchten wir den Potala, den leer stehenden Sitz des DL*, welcher seit der Kultur-Revolution in Daramsala, Nordindien, im Exil ist. Der 130m hohe “Rote Hügel” beherbergt einige Tempel, viele verschiedene Buddhas, Statuen und Gräber der ehemaligen DL*. Nach der Besichtigung pilgerten wir im Uhrzeigersinn mit vielen Tibetern um den Potala.

Besonders interessant in der heiligen Stadt Lhasa ist die Altstadt, resp. der Barkhor Bezirk. Der grosse Barkhor Plaza wurde 1985 von den Chinesen geräumt und im Jahr 2000 renoviert. Auf den Dächern rund um den Platz sind unübersehbare Überwachungskameras montiert, um die Einheimischen bei ihren Aktivitäten zu beobachten. Inmitten der
Altstadt befindet sich das religiöseste Gebäude Tibets, der Jokhang, konstruiert im siebten Jahrhundert. Ausserhalb sowie in der Tempelanlage selbst befand sich eine riesige Menschenmenge. Einen unvergesslichen Eindruck hinterliessen die vielen goldenen Statuen, die typischen Verschnörckelungen an den alten Holzbalken, die Gebete murmelnder und sich hinwerfender Pilgerer sowie der Geruch nach Yak-Butter. In einem tibetischen Restaurant setzte sich eine sechsköpfige Familie zu uns. Natürlich beobachteten wir die traditionell bekleideten Einheimischen so diskret wie möglich. Sie jedoch starrten uns ununterbrochen an und dass wir zum "Schneuzen" der Nase ein Taschentuch benutzten, fanden sie besonders interessant. Wir genossen es in den Strassencafés zu sitzen und das rege Treiben in den Gassen
zu beobachten.

Da Lhasa einen enormen Wirtschaftswachstum verzeichnet und sich der Srassenverkehr in den letzten Jahren vervielfacht hat, ist auch hier die Luftverschmutzung ein Thema. Auf dem Weg zum Flughafen war die Sichtweite durch den Smog ziemlich beeinträchtigt. Dass jedoch deswegen unsere Maschine nicht landen konnte und sogar nach Kunming
zurückkehren musste, damit hatten wir nicht gerechnet. Im späteren Nachmittag wurden wir informiert, dass unser Flug auf den nächsten Morgen verschoben wurde. Also begaben wir uns ins Airport-Hotel und genossen das für uns luxuriöse Zimmer, dessen Kosten von der China Air übernommen wurden. Der Flug über Osttibet war wunderschön und wir bestaunten nochmals aus einer anderen Perspektive die wunderschönen Berge. Als wir das Tibet bereits verlassen hatten, erhielten wir eine Warnung eines Radfahrers, welcher in Osttibet bei neu errichteten Checkpoints nachts erwischt wurde. Das Zweirad sowie der Pass wurden ihm weggenommen und er musste zurück nach Lhasa. Der
Gerüchteküche entsprechend sind scheinbar die Polizeikontrollen der Touristen in Tibet verstärkt worden, nachdem George Bush an DL* eine Auszeichnung verliehen hatte.

PROVINZ YUNNAN
Allmählich veränderte sich die Landschaft. Die Täler wurden breiter und wir erkannten viele Reis-, Gemüse- und Maisterrassen sowie Ackerfelder. Die Provinz Yunnan umfasst eine der landschaftlich vielfältigsten Regionen Chinas, bergig im Norden und subtropisch im Süden. Unsere Fahrräder hatten den Transport ohne Schaden überstanden
und wir waren froh, unsere Drahtesel wieder bei uns zu haben. Kunming, die 1,5 Mio. Einwohner zählende Hauptstadt Yunnans, ist eine moderne Metropole mit vielen Hochhäusern. In den Seitengassen liegen jedoch Berge von Müll und es riecht auch dementsprechend. Manchmal haben wir das Gefühl, dass die Chinesen von der rapid wachsenden Wirtschaft
total überrumpelt werden und sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet. Bis zur Olympiade 2008 in Peking wird sich wohl in China noch einiges verändern. Eine Spuckverbot wurde jedenfalls in einigen grossen Städten bereits eingeführt. Da wir ärgerlicherweise sieben Tage auf die einmonatige Visaverlängerung warten mussten, nutzten wir die Gelegenheit, um uns über die Weiterreise schlau zu machen sowie die Stadt und Umgebung zu erkunden. Besonders sehenswert war der Yuantong-Tempel und der Jadesee-Park, wo man Einheimische beim Tai Ji Quan (Schattenboxen) beobachten kann.

Auf dem Myanmar Konsulat wurde uns mitgeteilt, dass wir über Land von China zwar einreisen können, die Grenzen jedoch nach Laos und Thailand wegen Drogenhandel geschlossen sind. Deswegen und auch weil die politische Lage in Myanmar momentan etwas angespannt ist, entschieden wir, nach Laos, Kambotscha und Südvietnam zu radeln.
Nachdem wir das laotische Visa erhalten hatten, radelten wir voller Tatendrang los Richtung Dali, welches sich 400 km westlich von Kunming befindet und zum autonomen Bezirk der Bai (ethische Minderheit) gehört. Der Abstecher lohnte sich bereits wegen der schönen Landschaft. Der hügelige Weg führte vorbei an vielen Reis- und Gemüseplantagen, Bananenbäumen, Bambushainen und Cannabis-Pflanzen! Darüber waren wir besonders erstaunt, da die Chinesen von der Todesstrafe bei Drogenmissbrauch nicht zurückschrecken. Die Blätter werden wohl kaum nur als Heilpflanze eingesetzt? ;-) Wir pedalten durch die Gegend, als wir plötzlich unseren Augen nicht trauten. Da lag eine junge Frau mitten auf der Srasse und blutete stark am Kopf. Die Einheimischen standen ratlos im Umkreis von mindestens 20 Meter von ihr entfernt. Wir desinfizierten die Wunde und legten der Frau einen Verband an. Sie wollte, vermutlich im Schock,
aufstehen und wir erklärten einer Anwesenden, sie soll mit ihr reden, damit sie ruhig liegen bleibt. Obwohl der Spital nur einige Kilometer von der Unfallstelle entfernt war, dauerte es lange, bis der Krankenwagen erschien, ohne Blaulicht und Sirene. Seelenruhig watschelten die Helfer an die Unfallstelle und dann klemmte doch auch noch der Reissverschluss des Arztkoffers...es ist einfach anders. Den ganzen Weg nach Dali erlebten wir eine unglaubliche Gastfreundschaft. Als wir uns jedoch der Hauptstadt der Bai näherten, wurde es immer touristischer und die Frauen dieser ethischen
Minderheit standen mit ihren hübschen Trachten beim Eingangstor zur Altstadt und hätten sich gegen Bezahlung fotografieren lassen.

Wir hätten gerne die echten Bai bei ihrem täglichen Leben gesehen, in Dali ist jedoch alles für die Besucher ausgerichtet und hat seinen ursprünglichen Charme verloren. Da es dauernd regnete hatten wir keine Lust, Wanderungen in der schönen Umgebung zu unternehmen. Also relaxten wir und Nathalie gönnte sich eine traditionelle Massage. Zuerst inspizierte sie den Saloon, da sich bei Kurt zuvor die Dienstleistung als Tarnung für lukrativere Geschäfte herausgestellt
hatte :-) Unser nächstes Ziel war die Stadt Jinghong, welche zum autonomen Bezirk der Dai-Nationalität gehört. Unterwegs in den Dörfern gab es meistens einfache Übernachtungsmöglichkeiten. Da es tagsüber ziemlich warm und feucht wurde und wir immer total verschwitzt die Passhöhen erreichten, nutzten wir gerne die Möglichkeit, uns zu duschen. Eines Abends hörten wir laute Musik aus einer Scheune. Als wir uns näherten, endeckten wir auf Futtersäcken eine moderne Karaoke-Anlage. Die Leute freuten sich über unser Erscheinen und sofort bewirteten sie uns mit
Tee, Bier, Mandarinen und Sonnenblumenkernen. Sie wollten, dass wir singen. Jedoch erklärten wir ihnen, dass wir die chinesische Schrift nicht lesen können. Innert Kürze hielten sie uns eine Auswahl englischer Lieder unter die Nase, welche wir jedoch nicht kannten. Je weiter südlich wir radelten, desto exotischer wurde die Auswahl der Früchte, welche an der Strasse verkauft werden: Ananas, Papaya, Passions- und "Stern"früchte, Grapefruits, Kaki, süsse
Kartoffeln...einfach lecker! Nachdem wir den Mekong, der längste Fluss Südostasiens (4´350 km),
überquert hatten, erreichten wir die attraktive Stadt Jinghong.

FOTOGALERIE
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